Was Introversion nicht ist – und was sich wirklich dahinter verbirgt

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Nach 30 Minuten Vorstellungsgespräch, in dem ich schon einiges erzählt hatte, kam folgende Frage: „Wie bringen Sie sich in ein Team ein, wenn Sie neu sind?“

Meine Antwort: „In meiner Natur liegt es, erst einmal zu beobachten, mir ein Bild zu verschaffen und mich dann mit Ideen und meiner Meinung einzubringen. Ich bin eine introvertierte Person….“

Weiter kam ich an der Stelle mit meinen Ausführungen nicht, da der Personaler dazwischen ging und lachend sagte: „Also, den Eindruck machen sie bisher überhaupt nicht.“

Ich wusste, was er meinte. Denn dieses Vorurteil haben viele. Es begegnet mir immer wieder. Viele denken, dass Introversion gleichbedeutend ist mit Schüchternheit. Vorsichtig habe ich in dem Vorstellungsgespräch aufgeklärt, dass es so eben nicht ist.

Solche oder ähnliche Situationen habe ich in der Vergangenheit viele erlebt. Ich spiele zum Beispiel leidenschaftlich gerne Theater und habe kein Problem damit, auf einer Bühne zu stehen. Wenn ich das im Zusammenhang mit meiner Introversion erzähle, scheint das für viele erst einmal nicht zusammenzupassen.

Introversion hat nichts mit Schüchternheit zu tun. Introvertierte Menschen können zusätzlich schüchtern sein, aber zur Definition von Introversion zählt Schüchternheit nicht.

Was bedeutet Introversion stattdessen?

Die Big 5 beschreiben fünf grundlegende Persönlichkeitsmerkmale, die sich jeweils auf einer Skala von „wenig ausgeprägt“ bis „sehr ausgeprägt“ bewegen. Jede Skala hat zwei Pole, und dazwischen gibt es viele Nuancen.

Eins der fünf Persönlichkeitsmerkmale in diesem Modell ist Extraversion*. Der Gegenpol ist Introversion. (Falls du mehr zum Big Five Modell erfahren möchtest, klick hier und du landest bei einem weiteren Blogartikel, den ich dazu geschrieben habe.)

Die Verhaltensweisen von Introvertierten und Extravertierten zeichnen sich durch unterschiedliche Interaktion mit der sozialen Umwelt aus. Du kannst die Ausprägungen von introvertiert oder extravertiert als ein Energiemodell verstehen.

Introvertierte Menschen sind eher nach innen gerichtet und ziehen ihre Energie aus der Stille. Sie laden ihre Akkus auf durch Rückzug. Nach einer gewissen Zeit in Gesellschaft brauchen sie regelrecht das Alleinsein und Ruhe.

Extravertierte Menschen hingegen sind eher nach außen gerichtet und ziehen ihre Energie aus dem Zusammensein mit anderen Menschen. Sie brauchen den Kontakt und fühlen sich auch lange Zeit in Gesellschaft wohl, weil sie daraus ihre Energie ziehen.

Gibt es nur entweder oder?

Grundsätzlich ist es so, dass diese Persönlichkeitsmerkmale angeboren sind. Es ist dir also in die Wiege gelegt, ob du eher introvertiert oder extravertiert bist. Das kann man sogar an deinen Nervenbahnen sehen, denn diese sind bei Introvertierten länger als bei Extravertierten.

Durch die längeren Nervenbahnen dauert bei Introvertierten die Informationsverarbeitung länger. Das erklärt, warum Introvertierte oft (länger) nachdenken, bevor sie reden und Extravertierte sogenannte Sprechdenker sind. Sie sind schnell in ihrer Kommunikation und reden oft drauf los.

Aber – wie so oft im Leben – kann man nicht sagen: „Introvertierte sind immer so, und Extravertierte verhalten sich grundsätzlich genau gegenteilig.“ Es gibt unterschiedliche Ausprägungen der Persönlichkeitsmerkmale. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal an die Skala erinnern. Niemand verhält sich wohl immer genau so, wie es auf einem der Extrempole beschrieben ist.

Dazu kommt es noch auf den Kontext an. Unterschiedliche Situationen und Gegebenheiten können unterschiedliche Verhaltensweisen hervorrufen. Zusätzlich haben wir alle Strategien erlernt, um uns ein Stück weit anzupassen, wenn es die Situation erfordert. Dennoch haben wir alle eine angeborene persönliche Neigung eher in die eine oder andere Richtung der Pole.

Kann ich als Introvertierte erfolgreich sein?

Na klar! Introvertierte haben oft den Eindruck, dass die Mehrheit der Gesellschaft extravertiert ist und ihnen selbst als introvertierter Mensch Fähigkeiten für Erfolg und Erfüllung fehlen. Dabei haben Introvertierte Qualitäten, die genau das möglich machen.

Introvertierte sind sehr gewissenhaft, können sich gut konzentrieren und fokussieren, gehen mit Ausdauer in die Tiefe, analysieren gerne und sind insgesamt sorgfältig. Hervorragende Eigenschaften als Basis zum Erreichen von Zielen und Erfolg.

Was sind die grundlegenden Unterschiede von Introvertierten und Extravertierten?

Auch hier geht es um die Extrempole. Es kann sein, dass du von beiden Seiten Anteile in dir hast. Schau mal für dich, was überwiegt und vor allem, woraus du deine Energie ziehst. Dann hast du einen guten Anhaltspunkt, um zu wissen, ob du eher intro oder extra bist.

Intros:

  • beobachtend
  • besonnen
  • stabil
  • planend
  • fokussiert
  • analysierend
  • sorgfältig
  • eher langsam
  • gerne mit sich allein
  • in die Tiefe gehend
  • kommunizieren lieber schriftlich als mündlich
  • gute Zuhörer:innen
  • arbeiten gerne alleine
  • tendenziell passiver, weniger initiierend

ziehen Energie aus dem Alleinsein/der Stille –
Energielevel ist insgesamt eher niedriger

Extras:

  • kontaktfreudig
  • initiieren gerne
  • gesprächig
  • unterhaltsam
  • arbeiten gerne im Team
  • abenteuerlustig
  • enthusiastisch
  • eher schnell
  • impulsiv
  • risikofreudig
  • spontan
  • neugierig
  • eher ungenau
  • in die Weite gehend
  • eher oberflächlich

ziehen Energie aus dem Zusammensein mit anderen/aus Gesellschaft – Energielevel ist generell höher

Was ist besser?

Für gelingende Systeme brauchen wir Extravertierte und Introvertierte gleichermaßen. Egal ob in partnerschaftlichen oder freundschaftlichen Beziehungen oder im Berufsleben: In Teams jeglicher Art ergänzen sich beide und können sich so sehr gut gegenseitig unterstützen. Die Natur hat es schon gut eingerichtet, denn die Verteilung von Intro- und Extravertierten ist fast ausgeglichen.

Was bringt mir das Wissen, ob ich eher introvertiert oder extravertiert bin?

Ich bin generell der Meinung, dass je besser ich mich kenne, desto bewusster kann ich entsprechend meiner Bedürfnisse, meines Energiehaushalts, meiner Stärken und allen Eigenschaften die mich ausmachen, mein Leben gestalten. So dass es zu mir passt und mich glücklich macht. Die Erkenntnis über die eigene Intro- oder Extraversion kann augenöffnend sein.

Vielleicht weißt du jetzt, warum du auf Partys nach 3 Stunden müde wirst und nach Hause willst. Nicht weil du eine Spaßbremse bist, sondern weil dein Akku leer ist. Und deine Abneigung gegen Smalltalk heißt nicht, dass du unfreundlich bist. Es ist einfach nicht dein Ding, da du lieber in die Tiefe gehst.

Wenn du erkennst, wer du bist, kannst du das auch nach außen kommunizieren. Du kannst Aussagen wie „Sei doch nicht so sensibel.“ oder „Sag doch auch mal was.“ ganz anders begegnen. Weil du weißt, dass du genau so richtig bist, wie du bist.

Auf der anderen Seite trägt es auch zum besseren Verständnis für dein extravertiertes Gegenüber bei, was die Kommunikation und das Miteinander (noch) besser machen kann.

In Kürze

  1. Introversion bedeutet nicht schüchtern zu sein.
  2. Extraversion und Introversion sind grundlegende Persönlichkeitsmerkmale, die angeboren sind.
  3. Wichtigster Unterschied: Extravertierte ziehen ihre Energie aus dem Zusammensein mit anderen. Introvertierte tanken ihre Akkus im Alleinsein auf.
  4. Beide Typen haben ihre Daseinsberechtigung und ergänzen sich sogar sehr gut.
  5. Je besser du dich kennst, desto mehr kannst du ein Leben leben, das zu dir passt und dich glücklich macht.

 

𝐒𝐞𝐢 𝐝𝐮 𝐬𝐞𝐥𝐛𝐬𝐭 🧡 𝐬𝐭ä𝐧𝐝𝐢𝐠.

Bist du eher introvertiert und möchtest dein Lampenfieber senken, um souverän vor Menschen zu sprechen oder dein Warum finden, um klarer zu kommunizieren? Buche dir gerne einen Termin für ein kostenfreies Erstgespräch. Wir schauen, wo du stehst, wo du hinwillst und ob ich die richtige Begleitung für dich auf deinem Weg sein kann. Ich freue mich darauf, dich kennenzulernen.

*Übrigens, es ist kein Tippfehler, wenn ich von IntrOversion und ExtrAversion schreibe. Beide Begriffe stammen aus dem Lateinischen. Und da steht das O für die Innenausrichtung und das A für die Außenausrichtung. Umgangssprachlich hat sich aber auch der Begriff ExtrOversion eingebürgert. Beides ist ok 🙂

3 Gedanken zu „Was Introversion nicht ist – und was sich wirklich dahinter verbirgt“

  1. Toll, dass du aufklärst, dass Introversion und Schüchternheit nicht zwingend miteinander verbunden sind. Ich denke, wir leben noch in einer extravertierten Welt und das, obwohl das Verhältnis nahezu ausgeglichen ist. Gerade das finde ich sehr ermutigend, doch mehr zu sich zu stehen. Erst dann sind wir erfolgreich. Jedenfalls in meiner Definition von Erfolg. Super gut finde ich deine Zusammenfassung am Ende. Diese fünf Punkte sind einfach nur wertvoll!

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    • Vielen Dank für deinen Kommentar! Ich denke auch, dass sich für viele die Welt eher extravertiert anfühlt. Ist ja auch klar: Die Extravertierten fallen in der Regel eher auf. Daher ist es mir ein Anliegen, dass sich gerade die eher leisen Introvertierten bewusst darüber sind, dass es voll ok ist, so wie sie sind. Und mir ist wichtig, dass wir alle ein Bewusstsein für uns selbst und andere haben und erkennen, dass es Unterschiede gibt und diese nicht negativ sondern wertvoll sind. Nur durch Vielfalt entwickeln wir uns weiter.

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